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Birgit Lutherer 

Kapitel 1

Linda kehrt heim

 

„Sagt mal, spinnt Ihr?! Tickt Ihr noch ganz sauber?! Habt Ihr noch alle

Tassen im Schrank?! Was sollte das?! Hmm?! Was sollte dieses verkackte Leben?!“

„Jetzt reg dich mal nicht so auf, Linda! Schließlich hast du dir dieses Leben selber ausgesucht!“ Upper, der oberste Boss allen Seins versuchte Linda zur Raison zu bringen. „Wenn ich dich daran erinnern darf, meine Liebe: Du warst es doch, die nicht mehr wollte. Du warst die, die gesagt hat, jetzt sei Schluss mit dem Kram – ein für alle mal. Du wolltest gehen. Nach achtundachtzig Jahren hattest du genug vom Leben auf der Erde.“

„Ja, das stimmt,“ gab Linda zu „ich konnte nicht weiter mitansehen, wie immer wieder das gleiche in meiner Familie geschieht – dieses Unrecht, diese Qual – das musste ein Ende haben, jawohl. Aber dass ihr mich dort derart habt hängen lassen – was sollte das? Wer hat sich das ausgedacht?“

Verschämt schauten alle Anwesenden auf den Boden.

„Na sagt schon, wem habe ich diesen Schlamassel zu verdanken?“

Linda blickte in die Runde. Da stand Hannah, die auf der Erde ihre Mutter gewesen war und Erhard, ihr sogenannter Vater, stand gleich neben ihr. „Na, ihr zwei, wie wär´s mit euch – könnt ihr mir die Frage beantworten? Habe ich euch dieses miese Leben über Jahrzehnte hinweg zu verdanken?“ Mit gesenkten Köpfen verharrten ihre damaligen Eltern in einer Art Schockposition. Hannah malte verlegen mit ihrem Fuß Kreise in den staubigen Boden. Linda konnte beobachten, wie Erhard Hannah verstohlen anschaute. Er schien darauf zu warten, dass Hannah etwas sagte. Und tatsächlich, genau wie zu Erdenzeiten, lohnte sich das Warten für ihn. Hannah begann verlegen: „Also Linda, weißt du, wir haben das nicht gewollt. Wir wussten ja auch nichts davon. Wir konnten nicht sehen was werden sollte. Du musst uns glauben, Linda, wir wollten immer nur, dass es dir gut geht.“

„Aha, meine Liebe, das ist ja schön zu hören, aber irgendwie kann ich es nicht so recht glauben. Na ja, lass mal gut sein. Vielleicht kann mir Heinrich oder Martha ja meine Frage beantworten?“ Linda blickte Heinrich und Martha mit strengem, auffordernden Blick an. Im Gegensatz zu Hannah und Erhard blickten sie Linda unverhohlen in die Augen. Linda lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie kannte dieses Gefühl nur zu gut. Schon während ihrer Zeit auf der Erde wurde sie von diesem kalten Schauer geschüttelt, wenn sie ihren Großeltern begegnete. Heinrich und Martha waren dort drüben Erhards Eltern gewesen, also Lindas Opa und Oma. „Nun, meine lieben Großeltern“, begann Linda mit forderndem Unterton, „mit euch habe ich später sowieso noch zu reden – aber könnt ihr mir vielleicht meine Frage beantworten? Was sollte dieser ganze Mist in meinem Leben? Warum habt ihr mir all diese Dinge angetan?!“

„Jetzt stell dich mal nicht so an! Tu mal nicht so, als wären wir an allem schuld. Du hast ja auch brav mitgemacht. Und außerdem: So schlimm war das ja nun auch nicht. Aber, um deine Frage zu beantworten: Nein, wir waren das nicht. Du verdächtigst die Falschen!“, entgegnete Heinrich Unschuld heuchelnd.

„Das soll ich euch glauben?!“

„Ja, glaub es nur. Und das eine will ich dir mal sagen“, zeterte Martha, „was du da mit meinem Heinrich gemacht hast …“ Martha verstummte plötzlich. Sie wollte vor den Anwesenden keine vertraulichen Details preisgeben.

„Was soll ich gemacht haben, hä?!“

„Na, du wirst schon wissen was. Warst auf jeden Fall kein Unschuldslamm, Linda – ganz wie deine Mutter da drüben, nicht wahr Hannah?“ Hannah schaute immer noch verlegen auf den Boden. Sie versuchte allen Blicken auszuweichen.

„Lass du mir Hannah in Ruhe!“ Entrüstet trat Linda Martha gegenüber. Sie war kampfbereit – aufs äußerste gefasst. Nach ihrem Leben auf der Erde wollte Linda sich jetzt hier, am Ort der Zeit ohne Zeit, nicht mehr Marthas Gemeinheiten gefallen lassen. 

Martha stemmte die Arme in ihre Seiten. Sie schnaubte vor Wut. „Linda, du kleiner mieser Bastard! Was bildest du dir ein?! Schau mal da vorne, der Kleine da. Er wäre dein Sohn gewesen, aber er wollte nicht! Und ich glaube, aus gutem Grund! Gerade noch rechtzeitig hat er es sich anders überlegt und ist zu uns in die Zeit ohne Zeit zurückgekehrt. Hier geht es ihm gut.  Bei dir …,

naja, das kann man sich ja denken …!“

Linda war empört. „Martha, pass ja auf, was du sagst und lass Max aus dem Spiel! Hier gelten andere Regeln. Du solltest lieber anfangen kleinere Brötchen zu backen. Ich werde dafür sorgen, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Verlass dich drauf!“ Linda musste an sich halten. Um ein Haar hätte sie Martha selber vom Rand des Ortes der Zeit ohne Zeit hinab ins Nichts gestoßen, doch sie überlegte es sich in letzter Sekunde anders. Linda wollte erst Klarheit schaffen. Klarheit über das, was auf der Erde tatsächlich passiert war. Dazu brauchte sie die Beteiligten – und natürlich Upper als obersten Richter. Er sollte sich alles noch einmal in Anwesenheit aller Personen anhören und dann entscheiden, ob jemand ausgelöscht werden sollte. Linda war gespannt. Aber erst mal war sie fürchterlich wütend.

„Was soll das“, empörte sich Linda bei Upper. „Soll das hier so weiter gehen? Darf Martha mich beleidigen?“

„Linda, ich beleidige dich überhaupt nicht. Ich sage nur, wie es ist“, konterte Martha mit süffisantem Lächeln.

„Hörst du immer noch nicht auf, du alte Hexe?! Und du da Heinrich, du mieses Schwein – Pass bloß auf!“

„Aber, aber, Kinder, bitte beruhigt euch!“ Upper mischte sich jetzt schlichtend ein. Er konnte nicht mehr mitanhören, wie Martha und Linda sich beschimpften. Auch die anderen Familienmitglieder aus Lindas Sippe, die anwesend waren, redeten mittlerweile wild durcheinander. Erhard lag im Disput mit seinem Vater Heinrich, Hannah beschwerte sich bei den beiden wegen irgendwelcher falschen Versprechungen, dann versuchte Heinrich sich zu rechtfertigten, wurde aber jäh von Martha unterbrochen und beschimpft- kurz, es war ein chaotisches Stimmengewirr. Alle waren so mit sich beschäftigt, dass sie Uppers Bitte nicht wahrnahmen. Upper erhob seine Stimme. „Ruuuhe!!! Zum Donnerwetter noch mal!“ Dröhnend rauschte Uppers Stimme mitten durch die Anwesenden. Der Boden unter ihren Füßen erbebte bei dieser Stimmgewalt. „Jetzt beruhigt euch endlich! Ich versteh ja mein eigenes Wort nicht mehr und ihr wisst: Das Wort ist bei mir! Von Anfang an! Also Ruhe jetzt! Bedenkt -“, Uppers Stimme wurde milde, „Linda ist gerade erst zurückgekehrt. Sie ist noch voller Quod. Ich hatte ihr, so glaube ich, etwas viel davon mitgegeben und Hannah hat es auch gut mit ihr gemeint. Oder hattest du, Fridolin, etwa auch noch nachgeholfen?“ Upper sah Fridolin forschend an. „Nun ja, Upper“, lenkte Fridolin vorsichtig ein, „es könnte sein, dass mir da ein Fläschchen von dem Zeug aus der Hand geglitten ist, als es brenzlig wurde, weißt du, Ähem.“ Fridolin nestelte verlegen an seiner dunklen Kutte herum. Er vermied, Upper in die Augen zu schauen.

„Soso“, schmunzelte Upper insgeheim. Er versuchte seine sichtliche Freude darüber zu verbergen. Schließlich war Linda eines seiner Lieblings-Seins und gut wieder zu ihm zurückgekehrt. Nur Tomasin, der alte Zausel, begann zu mäkeln: „Das war unfair! Sie ist mit einem Vorteil auf die Reise gegangen. So war das nicht abgemacht!“

„Abgemacht? Was war abgemacht?“ Linda wurde hellhörig.

„Nichts Linda. Tomasin meint manchmal, er könne meinen Job übernehmen. Da irrt er sich! Nicht wahr, Tomasin?!“

„Ja! Ist ja gut, Upper! Man kann´s ja mal probieren.“ Tomasin winkte ab.

„Also, Fridolin, du hast Linda Quod gegeben.“

„Ja, Upper, ganz aus Versehen.“

„Das soll ich dir also glauben?“

„Ich denke schon. Du weißt doch wie verlässlich ich bin.“ Mit einem fast betörenden Augenaufschlag zwinkerte er Upper zu. Beinahe hätte Linda bei dem Anblick laut losgeprustet. Sie wusste, wie überzeugend und charmant ihr Freund Fridolin sein konnte. Das hatte sie so manches Mal miterleben dürfen. Aber dass er es auch bei Upper, dem Überwesen versuchte, das erstaunte Linda dann doch.

„Lass gut sein, alter Freund. Ist schon okay. Schließlich habe ich dir persönlich ein paar Fläschchen Quod abgefüllt, die du nach deinem Ermessen, bei Bedarf verabreichen darfst.“

„Ach so?! Hört, hört! Das sind ja ganz neue Sitten. Ihr trefft geheime Absprachen?“ Tomasin zeigte sich sichtlich pikiert.

„Sei du mal ruhig, Tomasin. Ich glaube, du bist noch nie zu kurz gekommen. Schließlich hast du von mir die Aufgabe bekommen, jedem Reisenden einen Schatten mit drei Anteilen zu geben.“

„Ist ja gut. Ich will nur keine Heimlichkeiten, so hinter meinem Rücken.“

„Du hättest mich einfach fragen können, Tomasin“, warf Fridolin ein.

 „ICH habe keine Geheimnisse!“

„Damit du dich nicht noch mehr übergangen fühlst, Tomasin: Kanep hatte auch ein Extra-Fläschchen Quod für Linda dabei“, fügte Upper hinzu.

„Wieso das denn, Upper?“

„Ganz einfach, weil sie mich darum gebeten hat.“

„Wann hat sie das denn gemacht? Ich meine, woher wusste sie…, wie konnte sie…?“

„Nachdem mir zu Ohren kam“, sagte Fridolin, „dass du Linda davon überzeugt hattest, ihren Schatten zurückzulassen, was ich übrigens richtig fies von dir fand, Tomasin.  Ich hatte Mitleid mit Linda. Ich kannte ja ihre Aufgabe, also musste ich handeln. Ich erzählte Linda, was es für Folgen haben würde, wenn sie ohne Schatten leben würde. Sie schaffte es gerade noch bei Upper ihren Schatten nachzubestellen bevor sie bei ihrer Ankunft auf die Welt alles vergessen würde. Wenige Augenblicke nach ihrer Bestellung ging Linda auch schon durch den Kanal des Vergessens und erblickte das Licht der Welt.“

„Wieso ausgerechnet Kanep?“, entfuhr es Tomasin. „Er hatte doch schon genug gemeinsame Leben mit Linda erfahren.“

 

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